Ortsgeschichte

Leutasch ist kein Ort wie viele andere.

 

Die Leutasch, am Fuße des Wettersteingebirges, mit zwei Pfarrkirchen und 20 Kapellen, einem See, in dem schon Kaiser Maximilian gerne fischte, mit ihrem almenreichen Gaistal, das der Schriftsteller und Jagdherr Ludwig Ganghofer bereits 1896 für sich entdeckte und einer von Claudia von Medici angelegten Grenzfeste, dazwischen weite Wiesen, Felder und Wälder: ein Ort, der durch die Vielfalt und Schönheit seiner Landschaft zum Verweilen und Staunen einlädt und von seinen Bewohnern und den zahlreichen Gästen zurecht geliebt wird. 


Schon vor 25 Jahren erzählte der Tiroler Altlandeshauptmann Dr. Alois Partl, dass der französische Generalkonsul in Innsbruck beim Amtsantritt seines Botschafters im Landhaus diesem empfohlen habe, unbedingt auf der Heimreise die Leutasch zu besuchen, denn sonst habe er den schönsten Flecken Tirols nicht gesehen. Diesem Kompliment eines Franzosen sei nichts hinzuzufügen.


Leutasch wurde 1166 erstmals urkundlich erwähnt. Damals war die Rede von Besitzungen am Flüsschen „Liutaske“, von dem sich der heutige Name ableiten lässt. Dauerhafte Ansiedlungen müssen allerdings schon viel früher entstanden sein, da die erste Kirche (St. Magdalena in Oberleutasch) bereits im Jahre 1190 eingeweiht wurde.

 

Die Besitzungen gehörten zu den Klöstern Stams und Wilten, dem Augustiner Chorherrenstift Polling bei Weilheim und der Pfaffenhofener Kirche, vereinzelt gab es aber auch schon „Freie Bauern“. Die Wälder waren „landesfürstlich“ und Ende des 12. Jahrhunderts setzte eine rege, aber behutsame, gegenüber der Natur ehrfurchtsvolle Rodungstätigkeit ein. Aus Jagdhütten, die anfänglich nur im Sommer Unterkunft boten, später zum ganzjährigen Aufenthalt der Bewohner dienten und deren Lebensunterhalt sicherten, entstanden die ersten Urhöfe.


Die Bewohner waren und sind ein Muster an Bodenständigkeit: Familiennamen, die schon im 13. Und 14. Jahrhundert auftauchten - damals lebten etwa 240 Menschen in der Leutasch -, findet man auch heute noch im Leutascher Telefonbuch.  


Jahrhundertelang lebten die Leutascher von der Land- und Forstwirtschaft und der Jagd.

Leutasch war lange die „Holzkammer“ von Innsbruck und Hall. Zwischen 1690 und 1738 entstand die nach den Gebrüdern Hirn benannte „Hirnrinne“ – ein, für die damalige Zeit, gigantisches Bauwerk, das zum Holztransport (Driften) diente. Die Rinne führte vom Gaistal über Buchen bis zum Inn bei Telfs. Anfang des 19. Jahrhunderts waren im Leutascher Gaistal Sommer für Sommer 200 – 300 Holzknechte beschäftigt, die an die 80 000 Klafter (= 160 000 m3) Holz schlägerten. Am 30. Juni 1815 wurde die „Hirnrinne“ bei einem schrecklichen Unwetter zerstört und weggespült. Ganz Leutasch wurde überschwemmt. Aus den Aufzeichnungen des Ortschronisten Oberschulrat Matthias Reindl: „Am 30. Juni 1815 zerbrach im Gaistal die von Hirn erbaute Klause und die ungeheuer geschwellten Wasser und Holzmengen, auf einmal losstürzend, alles mit sich fortrissen und so in dem ebenen Gefilden der bewohnten Leutasch viele tausend Gulden schulden verursachten, ja sogar die Hauptursache waren, dass eben dortmals die zwei großen und festen Brücken der Isar  bei Mittenwald und selbst jene bei der Stadt München ruiniert wurden.“


Große Kriege, wie der 30jährige Krieg, der Einfall der Bayern 1703 („Bayrischer Rummel“), die Tiroler Freiheitskämpfe im Krieg Napoleons gegen Österreich 1805 und 1809, sowie die beiden Weltkriege 1914 - 1918 und 1939 - 1945 gingen nicht spurlos am Leutaschtal vorbei. Verzweiflung und Armut machten sich breit und es waren die Ältesten, die Frauen und Kinder, die das Land notdürftig am Leben erhielten und durch bäuerliche Selbstversorgung dem Hungertod entkamen.


Aufgrund der langen Winter und eher kurzen Sommer gestaltete sich die Landwirtschaft von jeher schwierig und wenig ertragreich. Über den Sommermonaten war das Vieh auf der Alm. Am Talboden wurden hauptsächlich Kartoffeln, Flachs und Gerste angebaut und der seit 1929 gezüchtete Leutascher Goldhafer, der in alle Herren Länder exportiert wurde.


Durch ihren großen Waldreichtum war und ist die Leutasch ein bedeutendes Jagdgebiet. 

Zu den vielen bedeutenden und bekannten Jagdherren gehörte im ausgehenden 19. Jahrhundert auch der Schriftsteller Ludwig Ganghofer, der die Leutasch weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt machte. Er lud viele prominente Künstler wie z. B. Richard Strauss, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Ludwig Thoma, u.v.a. in sein Jagdhaus „Hubertus“ im Gaistal ein. Seine verfilmten Bücher wie „Das Schweigen im Walde“ oder „Der Edelweißkönig“ basieren auf Ganghofers Erlebnisse und Eindrücke in Leutasch. 


Heute kann man im Kulturhaus Ganghofermuseum alles über ihn, sein Schaffen, die Jagd und die Dorfgeschichte erfahren.


Anfang des 20. Jahrhunderts kamen immer mehr „Sommerfrischler“ in die Leutasch, die ein paar Tage auf dem Land genießen wollten.

Im Leutascher Ganghofermuseum findet man einen Werbeprospekt aus dem Jahr 1953: „Leutasch – umgeben von einem Kranz bewaldeter Höhen, hochanstrebenden Bergen, herrlichen Wäldern und grünen Matten, seine vom Hochwald umrahmten Seen und den einen wahren Naturpark bildenden Mähdern (Bergwiesen) kann als eines der schönsten Hochtäler Nordtirols bezeichnet werden, das noch eine große Zukunft als Sommerfrische und Erholungsort hat. Die staubfreie, ozonreiche Luft und meist milde, durch ausgedehnte Waldungen geregelte Temperatur ist für Nervenleidende und Ruhebedürftige besonders geeignet, ein Jungbrunnen für alle Erholungssuchenden. Leutasch ist kein Modeort, sondern ein Platz, an dem der Urlauber im Sommer vorzügliche Alpenluft, Höhensonne und die Wunder der Bergwelt genießen kann.

Für die damalige Zeit war das Beherbergungsangebot schon sehr groß: 791 Betten in 13 Gasthöfen, 7 Pensionen und bei 57 Privatzimmervermietern standen den Gästen zu einem Preis ab 8,00 Schilling pro Person plus 50 Groschen Ortstaxe zur Verfügung.


 „ … große Zukunft als Sommerfrische und Erholungsort …“ – hieß es in dem alten Werbeprospekt und er sollte Recht behalten: Heute können bis zu 4500 Gäste in den 326 Betrieben im Leutaschtal nächtigen. 

Im Sommer führen 650 km markierte Spazier- und Wanderwege durch schattige Wälder, über blühende Wiesen, auf naturbelassene Almen und auf Gipfel, die für den nötigen Weitblick sorgen. 

Aber bei der „Sommerfrische“ allein ist es nicht geblieben: Jeden Winter tummeln sich auf dem 256 km langen Olympiaregionsloipennetz die Langläufer und genießen nach wie vor die unglaubliche Schönheit der Natur und die Gastfreundschaft der Leutascher Vermieter.


Eine gute Mischung aus Bauerntum, Tourismus und Wirtschaft, aus Tradition und modernem Zeitgeist stärken das generationenübergreifende Heimatbewusstsein und machen Leutasch zu einer äußerst lebendigen Gemeinde mit positiven Visionen für die Zukunft.


Wer im Frühjahr den erdigen Geruch bei stundenlangen Spaziergängen über die weiten Felder wahrnimmt, im Frühsommer durch die butterblumengelben Wiesen streift, Ende Juni die von Heuduft erfüllte Luft atmet, einen Sonnenaufgang auf der Alm erlebt, im Oktober das Tal im herbstlichen Morgennebel vor sich liegen sieht, im Winter über die vom Neuschnee glitzernden Wälder schaut und über frisch gespurte Loipen gleitet, fühlt mit allen Sinnen, dass Leutasch einer der schönsten Flecken Tirols ist … wie recht der französische Generalkonsul doch hatte!


© Iris Krug 

(ehem. Museumsleiterin und Kulturreferentin der Gemeinde Leutasch)